Gerhard Hofbauer
Global Warming / Individual Freezing?

Mit dem Titel „Nur Noch Kurz Die Welt Retten[1] hat Tim Bendzko einen in vielerlei Hinsicht interpretierbaren Slogan geliefert. Selbst meint er, erst dann sei er wieder ‚bei ihr‘. Gilt der Mensch als Teil der Welt, hat die Menschheit Glück, wird mit gerettet. Andernfalls?

In den Künsten zeigen, wie Natur berührt“ von Polyästhetischer Bildung International geht einen klaren, anderen Weg. Das Arbeitsthema erhebt die Beziehung des Individuums zu allem, was Natur betrifft, zum Kern, zum Drehpunkt. Ein revitalisiertes Bewusstsein zu allem, wie Natur in weitestem Sinn berührt, soll zu neuer Verortung des Menschen in seiner Welt verhelfen.

Kein Zweifel an der Dringlichkeit, globale Überhitzung abzuwenden, wie und wo immer sich Chancen dazu zeigen. – Doch greift nicht auch individuelle Erkaltung um sich, wohin wir blicken und spüren? Führte nicht physisches Distanzhalten schon nachweislich in ein ‚social distancing‘?

Kein Zweifel, alles, was das lebensfeindliche Virus distanziert, hat primären Rang, damit „I can’t breathe“ nicht zur abscheulichen Wirklichkeit wird.

Verlassen wir die Schreckensvision und ihre Metaphern, ohne vor allem wegzulaufen. Im Gegenteil, komplementäre Gegenprogramme sind ein Gebot der Stunde. Die Psyche des Menschen in ihrer psychophysischen Korrespondenz, einfach gesagt, ihrem mannigfaltigen Bezugssystem zu aller Natur an und um uns, zum Thema machen, sichtbar, hörbar, spürbar machen, ist Kern unseres Apells. Demonstrieren und kommunizieren wir über die kreative, künstlerische Ausdruckskraft, wie – auf welche Weise und in welcher Hinsicht – Natur berührt[2].

Aus der sinnlichen Erfahrung, wie Welt auf uns wirkt, kann Besonnenheit[3] reifen. Sich den Wirkungen zuzuwenden und sie in ihrer Ästhetik ohne vorbestimmten Zweck und Nutzen zu reflektieren[4], kann eo ipso Raum schaffen, freier atmen und sich (wieder) besser spüren lassen[5].

Besonders im urbanen Raum kippte Naturerfahrung merklich aus dem Gesamt der Welterfahrung, aber auch darüber hinaus, wo andere Prioritäten den Bildungskanon vereinnahmen. Wir mahnen die ästhetischen Bildungsprozesse wieder in den Kontext ein und hoffen, Sie stehen uns bei.

Das IGPE PUBLIC FORUM auf www.paeb.org steht für Beiträge zur Verfügung.

 

[1] Das Youtube-Video ist über Tim Bendzko - Nur Noch Kurz Die Welt Retten (Offizielles Video) - YouTube abrufbar (zuletzt 1.5.2021).

[2] Wolfgang Seierl, bildnerischer und musikalischer Künstler aus Wien, aktives Mitglied der IGPE, hat einen 1 Meter langen Faden zu einem umfassenden künstlerischen Anstoß zum Thema ‚Nähe und Distanz‘ gemacht. Seine Werke wurden am Symposium 2020 präsentiert. Mehr Information auf www.paeb.org

[3] Johann Gottfried Herder hat diesen ästhetischen Prozess ausführlich beschrieben. Vgl. Herder, Johann Gottfried von; Heintel, Erich (Hg.): Sprachphilosophische Schriften. 2. Aufl. Hamburg: Meiner, 1975 (Philosophische Bibliothek 248)

[4] Ohne detailliert darauf einzugehen, spricht solches Ansinnen aus Friedrich Schillers Briefen über ästhetische Erziehung. Vgl. Schiller, Friedrich; Berghahn, Klaus L.: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Stuttgart: Reclam, 2000 (Universal-Bibliothek 18062)

[5] So wenig die Entstehungszeit beider Bezugsquellen mit der pandemischen Situation der Gegenwart zu vergleichen ist, so konkret bedeuten beide Ansätze ästhetische Gegenprogramme zu einer empfundenen seelischen Not in ihrer Zeit. Kritisiert Herder die menschliche Ferne des Rationalismus, verleiht Schiller seiner bitteren Enttäuschung Ausdruck, die Französische Revolution könne zu einem ‚besseren Menschen‘ führen und setzt seine Hoffnung in die ästhetische Erziehung des Menschen. – Deutlich andere Zeitzeichen mit ähnlichen Auswirkungen wie in der Gegenwart?